Mutmaßungen über Grün

Grün gilt als Farbe des Lebens: beruhigend und freundlich. Aber es kann auch das genau Gegenteil davon sein. Die enorme Bandbreite dessen, was Grün sein kann, spiegelt sich in den Arbeiten Kärntner Kunstschaffender wider.

Fragt man Cornelius Kolig nach seiner Beziehung zur Farbe Grün, dann erzählt er vom „Paradies“, dem in jahrzehntelanger Arbeit aufgebauten Vorderberger Natur-Refugium des Künstlers. Er erzählt von seinen grünen Arbeiten, in denen andere Farben beinahe gänzlich ausgespart werden: ein Teich in Gehweite seines Domizils, ein Teppich von Holunderblättern mit hauchzarten Spritzern von Weiß. „Grün steht für die Vegetation, für den nichtanimalischen Bereich des Lebens“, sagt der Maler und Bildhauer. Gerne arbeitet er in der warmen Jahreszeit unter einem Apfelbaum. Im Schatten des Laubes legt Kolig dann ein halbfertiges Werk in Dunkelgrün auf zwei Holzschragen, um die Sonnenflecken darauf einzufangen: den Einfall des Lichts durch die schmalen Öffnungen der Blätterdecke des Apfelbaums. „Das Laub funktioniert wie eine Camera obscura“, sagt Kolig. Die hellen Flecken der Sonne sprayt er mit hellgrüner Lackfarbe nach. Das, meint Kolig, sei eine Form der Meditation. „Grün ist eine sehr angenehme Farbe, in der man gut ruhen kann.“

Für: DIE BRÜCKE, Oktober 2018

Das sieht Engelbert Obernosterer anders. Der Lesachtaler Schriftsteller hat sich in zwei Büchern („Grün. Eine Verstrickung“ und „Das grüne Brett vor meinem Kopf“) mit der grünen Tristesse seiner Kindheit am Land auseinandergesetzt: Mit Wald, Wiesen und was sonst noch dazu gehört, verbindet er in erster Linie Entsagung und Langeweile. „Für Städter mag das Grün schön sein. Für mich hat es vor allem Arbeit bedeutet.“ Die karge Lebensrealität einer Kindheit am Bauernhof in den 1950er-Jahren, das Schuften, die Engstirnigkeit der Landmenschen: all das hatte der Bub einst als grobe Einschränkung seiner Kreativität erfahren. Die Summe all dieser Einschränkungen ergibt für ihn den Farbton Grün. Obernosterer gehört zur Minderheit der Grün-Verweigerer. Nicht zuletzt die Gärtnerei geht ihm auf die Nerven: „Frauen, die so erpicht darauf sind, am Grün herumzuziehen, es zu manipulieren. Gegen dieses Grün bin ich. Das geht analog zur Erziehung. Im Garten besteht eine Art von Grünerziehung, hin zum Nahrhaften, Schönen, Grünen. Was man nicht brauchen kann, wird weggegeben.“

Der eine sucht das Grüne, der andere flieht dem Grünen. Doch beiden ist es ein Quell der Inspiration. Die aus Wellenlängen im Spektrum von 520 bis 565 Nanometern zusammengesetzte Farbe, physikalisch gesehen eine Mischung aus Cyan und Gelb, wird künstlerisch auf mannigfaltige Art und Weise abgebildet – und steht für ganz unterschiedliche Eigenschaften. In den meisten Kulturen wird das pflanzliche Grün als Farbe des Lebens angesehen, sichtbarstes Zeichen des Frühlings und des Wachstums. Im kirchlichen Farbenkanon steht Grün für die Auferstehung. Ganz allgemein wird der Farbe eine beruhigende Wirkung auf die menschliche Psyche nachgesagt, schrille Töne sind in grüner Umgebung leichter zu ertragen. Eine grüne Ampel symbolisiert freie Fahrt. Zugleich steht die Farbe aber auch für das Gegenteil: Grün ist die Farbe das potenziell tödlichen Gifts, ob durch den Biss einer Mamba oder durch den Verzehr von vergammeltem Fleisch, das von grünen Schlieren überzogen ist. Die Ambivalenz zeigt sich in den zahlreichen Werken Kärntner Künstlerinnen und Künstler, die sich – auf unterschiedlichste Weise – mit Grün beschäftigen.

Dabei dürfen durchaus auch jene erwähnt werden, die den Namen Grün sogar im Namen tragen: Der franko-amerikanische Schriftsteller etwa, der in Kärnten eine Wahlheimat gefunden hatte und nach seinem Tod vor 20 Jahren in der Klagenfurter Stadtpfarrkirche St. Egyd beigesetzt wurde. Oder Dominik Grünbühel, Tanzkünstler mit Kärntner Wurzeln, der auf internationalen Bühnen mit mutigen Performances die Grenzen seines Genres auslotet. Auch der Radentheiner Männergesangsverein Immergrün, der seit 125 Jahren die Schönheit der Kärntner Landschaft besingt.

Vor allem aber soll hier die Rede sein von jenen Kunstschaffenden dieses Landes, die zu Oberkärntner Apfelbaumblättern, dem grünlichen Glitzern des Ossiacher Seens oder auch der politischen Ideen der Grünen Bewegung eine besondere Beziehung haben. Bekanntestes Aushängeschild für Letzteres ist zweifellos Rolf Holub, der frühere Grüne Landesrat, der sich seit einem halben wieder hauptberuflich seiner zweiten Passion neben der Landespolitik widmet: der Musik. Nun tourt er wieder mit seiner „Beach Band“ durch das Land und versucht die Gesellschaft auf andere, spielerischere Art zu verändern. „Die Künstler sind das Immunsystem einer Gesellschaft“, sagt er. Das operative Zentrum der Politik – Regierung und Landestag – mussten Holub und seine Partei nach den Landtagswahlen vor einem halben Jahr verlassen. Das ländlich geprägte Kärnten war für die Grünen traditionell ein besonders hartes Pflaster, nur mit Ach und Krach schafften sie es 2004 zum ersten Mal in den Landtag. Danach bot die Partei mit ihren Vorfeldorganisationen wie der Grünen Bildungswerkstatt vielen der von der offiziellen Landespolitik gering geschätzten Künstlerinnen und Künstlern eine zumindest temporäre Heimstatt. Nicht zuletzt der in der Kulturszene bestens vernetzte Parteichef Holub konnte viele kreative Geister an seine Bewegung binden. 2013, im Jahr des großen politischen Umbruchs, schaffte Holub bei den Wahlen einen Sensationserfolg und zog sogar als Landesrat in die Regierung ein. Doch fünf Jahre später kam der Absturz. Holub hat der Politik nun Adieu gesagt, ein anderer Musiker hingegen ist gerade erst dabei, sich im kleineren Rahmen auf das Wagnis einzulassen und der Partei den Weg zurück nach oben zu erkämpfen.

Thomas Piber, auf der Bühne besser bekannt als Liedermacher Thomas Goschat, ist seit einigen Monaten Pressesprecher der Klagenfurter Grünen. Da wie dort hat er den Anspruch, die Gesellschaft zum Besseren zu verändern. „Auch als Künstler sehe ich meine Verantwortung darin, die Entwicklung hin zur Unmenschlichkeit, zur Verrohung der Sitten aufzuhalten“, sagt er. Bei der Ökopartei fühl er sich mit seinen Ansichten am besten aufgehoben. Dass diese sich „Die Grünen“ nennt, passt dem Künstler Piber gut in den Kram. „Alleine der Blick in eine grüne Landschaft bewirkt bei mir etwas.“ Was er mit Grün verbindet? „Ein wohltemperiertes Klavier“. Frei nach Goethe (der sich in seinen abenteuerlichen Ausflügen auf das Gebiet der Farbenlehre auch mit der Beziehung zwischen Farbe und Musik gewidmet hatte), würde Piber der Farbe entweder die Tonart g zuordnen oder ein cis. „Die Tonart G wird der Erde zugeordnet, Cis geht ins Himmlische. Auf jeden Fall hat es etwas Erhebendes.“

Erhebend sind auch die grünen Werke des vor drei Jahren viel zu früh verstorbenen Malers Ferdinand Penker, die zuletzt im Museum Moderner Kunst Kärnten ausgestellt wurden: Kacheln und Striche in Grün, in denen ein Grundmotiv geringfügig variiert wird und in Summe ein beeindruckendes Gesamtkunstwerk schaffen, dass den Blick der Betrachtenden magisch anzieht. Die Farbe Grün zeichnet auch sowohl für das Fußballfeld des Klagenfurter Stadions aus, wie auch für den Wald, den der Schweizer Aktionskünstlers Klaus Littmann dort anpflanzen möchte. Das Großprojekt soll im Herbst 2019 stehen, die Gemüter erregt die Installation zur „ungebrochenen Anziehungskraft der Natur“ schon jetzt. Und das ist durchaus im Sinne des Erfinders, der einen Diskussionsprozess in Gange bringen möchte. Das 90 Millionen Euro teure, vielfach überdimensionierte Stadion reizt ihn gerade deshalb, weil es meist leer steht, wenn nicht gerade die Kicker des SK Austria Klagenfurt ein paar Zuschauer auf die 32.000 Sitzplätze locken. Dabei will Littmann gar kein Statement gegen die politische Großmannsucht setzte, die zu dem Bau des für Klagenfurt völlig unverhältnismäßigen Stadions geführt hat. Seine Wahl fiel eher aus praktischen Gründen auf Klagenfurt: Hier ist es möglich, weil in diesem Mega-Stadion sonst nichts geschieht. „Es besteht ein einmaliges Zeitfenster für das Projekt, weil es nicht ausgelastet ist“, sagt Littmann.

Die Diskussion, die der Schweizer Performer lostreten möchte, ist indes eine andere. Littmann bezieht sich auf ein Bild des Tiroler Max Peitner („Die ungebrochene Anziehungskraft der Natur“), der sich bereits vor 50 Jahren dem Rückzug der Natur beschäftigt hat. „Peintner hatte die Idee, dass wir uns einst die Natur so ansehen werden, wie man Tiere in einem Zoo ansieht.“ Die grüne Lunge des Planeten als Ausstellungsobjekt für Sonntagsausflüge, eingezäunt, von Ticketverkäufern und Sicherheitsleuten abgeschirmt vom Alltag.

Darf man ein Fußballstadion denn einfach so mit Bäumen zupflanzen? Ist das nicht eine Verhöhnung der ohnehin nicht erfolgsverwöhnten Kärntner Kicker? Muss man wirklich – Stichwort Großmannsucht – noch in alten Wunden bohren? Und überhaupt: Was ist an einem Wald so besonders, im überreich bewaldeten Kärnten? Es gibt in Klagenfurt viel Verständnislosigkeit über dieses Projekt, aber auch viel Vorschuss-Interesse über die Landesgrenzen hinaus. Immerhin handelt es sich, wie Littmann betont, „um das größte Kunstprojekt im öffentlichen Raum, das es jemals in Österreich gab.“

Definitiv weniger umstritten sondern allgemein gefeiert wird ein Projekt der beiden Klagenfurter Architekten Roland Winkler und Klaudia Ruck: Eine Serie hölzerner Gebäuden, die sich voll kühner Schönheit an die Turracher Berglandschaft schmiegen. Für ihre „Häuser im Wald“ haben die beiden den diesjährigen Bauherrenpreis der Architektinnen und Architekten eingeheimst, der am 18. Oktober verliehen wird.

Wie grün klingen kann, zeigt eine bemerkenswerte Kulturinitiative der Völkermarkter Gärntnerei Sattler. Mehr durch Zufall knüpfte Inhaber Christian Sattler vor einige Jahren den Kontakt zum Wiener Ensemble Oh!pera. Inspiriert durch seinen musikaffinen Bruder sei dann die Idee geboren, das große Glashaus der Gärtnerei inklusive aller Pflanzen zu einer Opernbühne der anderen Art umzugestalten. „Wir haben das einfach aufs Geradewohl hin probiert“, sagt Sattler. Bei der ersten Aufführung vor fünf Jahren lauschten 250 Besucher der Oper im Grünen, inzwischen sind es jedes Jahr im Herbst gut 1.000. „Drei Wochen vor der Aufführung steht alles in der Gärtnerei still, weil alle mit dem Bühnenaufbau beschäftigt sind“, erzählt Sattler. Als zuletzt Figaro aufgeführt wurde, verstand es sich von selbst, dass die Gartenszene inmitten echter, kunstvoll in Szene gesetzter Pflanzen stattfand. Begeistert vom außergewöhnlichen Ambiente sind nicht nur die Zuhörer, sondern auch die Sängerinnen und Sänger: „Die Akustik ist sehr gut und durch die vielen Pflanzen entsteht eine hohe Luftfeuchtigkeit.“ Das sei eine Wohltat für die Stimme: „In der Gärntnerei lässt es sich besser singen als in einem verstaubten Opernhaus.“

Als grünes Kunstprojekt im weiteren, gesellschaftspolitischem Sinne kann wohl auch der Stoparhof bei Eisenkappel/Železna Kapla betrachtet werden. Vor mehr als vier Jahrzehnten gründete dort eine Gruppe von umwelt- und friedensbewegten Aussteigern eine Kooperative im Rahmen der europäischen Longo-Mai-Bewegung, die ihren Ursprung 1968 in der französischen Provence hat und ein breites Netz von Partnerkooperativen am ganzen Kontinent hat. Die Grundidee: alles gehört allen, alle und niemand haben das Sagen. Am Ende wird alles in der Gruppe entschieden, Hierarchien sind verpönt. Auf dem Bergbauernhof leben und arbeiten neun Menschen im Einklang mit der Natur. Das Ziel ist die Selbstversorgung mit Fleisch, Brot und Käse, was übrig bleibt, wird verkauft. Von der übrigen Eisenkappler Bevölkerung einst scheel beäugt, sind die Hippies von Longo Mai inzwischen ein integraler Bestandteil des Ortslebens, deren nachhaltige Produkte am Bauernmarkt ebenso begehrt sind wie ihre regelmäßig stattfindenden Feste.

Vom Leben im Einklang mit der Natur zeugt auch der Klostergarten voller eigenwilliger Skulpturen, den die Landart-Künstlerin Elke Maier vor über 20 Jahren gemeinsam mit Georg Planer eingerichtet hat. Die gebürtige Deutsche beschäftigt sich intensiv mit der Farbe Grün – und das verdankt sie nicht zuletzt der Kärntner Landschaft. Als sie sich vor 23 Jahren hier niederließ, war die Malerin fasziniert von den glasklaren Seen und Gebirgsflüssen. „Kärnten ist das Land des Wassers“, sagt sie. Und dieses Wasser sei grün. „In meiner Heimat Bayern gibt es auch Seen, aber die würde ich nicht mit grün assoziieren.“

Heute wie damals sei sie fasziniert von dessen „Transparenz, das vom Sonnenlicht durchdrungen eine ganz eigene Räumlichkeit bekommt.“ Mit ihren Ölbildern versucht Maier, diese Transparenz durch unterschiedliche Schichten abzubilden. „Grün ist die Farbe des Lichts“, sagt Maier. „Weil es in der Fotosynthese in Erscheinung tritt. Grün hat die engste Verbindung zum Sonnenlicht.“

Grün als Farbe des Lebens und des Lichts, die Farbe der Natur und des Friedens? Wäre eine rein grüne Welt denn eine bessere Welt? Ausgerechnet der Naturmensch Cornelius Kolig warnt vor allzu einfachen Schlüssen. „Man darf nicht blauäugig sein“, sagt er nach jahrzehntelanger Beobachtung der Vorgänge in seinem grünen Paradies voller Pflanzen und Tiere. „In der Vegetation findet ein furchtbarer Kampf unter den Pflanzen statt. Die Ruhe ist trügerisch. Auch das Paradies ist eine vergiftete Idylle.“

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