Die Chefin der Wiener SPÖ-Frauen elektrisiert seit Jahren am Tag der Arbeit das Publikum am Rathausplatz. Danach hört man von Marina Hanke wieder ein Jahr lang recht wenig. Warum eigentlich? Porträt einer Zukunftshoffnung.

Da wäre Michael Ludwig. Grauer Festtagsanzug, rotes Stecktuch, die Hände lässig am Balkongeländer. Vor einer halben Stunde hat der Bürgermeister am Rathausplatz seine Rede gehalten, von der alle im Publikum sagen, dass sie im Prinzip eh gepasst hat. Wie es sich zum 1. Mai gehört, hat er die Vorzüge des roten Wiens gelobt: günstige Gemeindebauwohnungen, pünktliche U-Bahnen um kleines Geld, Hilfe für Menschen, denen das Leben übel mitspielt. Ludwig hat geliefert, jetzt blickt er auf Marina Hanke, die sich vor ihm am Rednerpult gerade warmredet – wie ein freundlicher Onkel bei der Matura-Ansprache der Tochter seines jüngsten Bruders.
Neben ihm steht Pamela Rendi-Wagner, Bundesparteivorsitzende mit Issues. Ein paar Tage zuvor hat die geheime Abstimmung über die künftige Nummer eins an der Spitze der Partei begonnen, Hans-Peter Doskozil und Andreas Babler setzen ihr von rechts wie von links zu. Die Vorsitzende stützt sich auf das Geländer und zieht die Mundwinkel nach hinten. Höflicherweise müsste man wohl sagen: Rendi-Wagner lächelt. Auch sie soll an diesem 1. Mai noch eine Ansprache halten. Womöglich ihre letzte vor zehntausenden Menschen.
Dann drängen sich da noch gut zwei Dutzend andere Leute hinter dem Geländer: Männer und Frauen, die es in der SPÖ zu etwas gebracht haben. Gewerkschafter mit schütterer Föhnfrisur und roten Anoraks, Parteikader in Jeans und Sakko, die am Handy scrollen, sozialdemokratische Würdenträgerinnen mit gewagten Sonnenbrillen zur Designerjacke.
Sie alle blicken jetzt auf Marina Hanke, eine junge Gemeinderätin und Vorsitzende der Wiener SPÖ-Frauen. Außerhalb des politischen Betriebs in der Hauptstadt kennt sie kaum jemand, obwohl sie seit 2019 mit ihrer Ansprache zum Tag der Arbeit verlässlich den Rathausplatz rockt und den Klassenkampf wieder in die Innenstadt bringt. Es ist immer ein wenig, als würde Amanda Palmer bei „Wenn die Musi spielt“ auftreten. Einmal im Jahr elektrisiert die 33-Jährige das Publikum, die Suchanfragen nach ihrem Namen gehen rasant nach oben, der Hashtag #Hanke trendet auf Twitter. Dann hört man wieder ein Jahr lang fast nichts von ihr.
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