Donald Trump lässt keine Gelegenheit aus, Europa zu demütigen. Warum lassen wir uns das eigentlich gefallen? Ein Plädoyer gegen das Herumjammern.
Donald Trump will die USA also wieder groß machen. Zumindest soll ihr Einfluss in der Welt nicht schrumpfen. Man will Technologieführer bleiben, wirtschaftlicher Hegemon, weiterhin die gefürchtetste aller Streitmächte mit den größten Kanonen, Düsenjets und Kriegsschiffen. Dazu bricht Trump mit so ungefähr jeder Regel, an die sich seine Vorgänger – die demokratischen wie die republikanischen – gehalten haben. Disruption nennt er diese Methode. Rechtsstaatlichkeit: Schtonk. Gewaltenteilung: Schtonk. Pressefreiheit: Schtonk. Alles unnötiger Ballast, wenn man durchregieren will.
So weit, so nachvollziehbar. Es hat sich abgezeichnet, die Leute in den USA wussten, wen sie wählten.
Es wird halt bloß für Trump nicht einfacher, weil China in den letzten Jahren mit Affentempo aufgeholt hat – und zwar in so ziemlich jeder Disziplin. Peking fühlt sich längst auf Augenhöhe mit Washington und will die neue Nummer eins werden. Um wenig anderes geht es. Leider. Das Match der zwei Großmächte ist noch lange nicht entschieden. Es ist ein wenig wie im Kalten Krieg der 1950er-Jahre, als die Sowjetunion ein in vieler Hinsicht ebenbürtiger und gefürchteter Gegner der USA war. Auch damals gab es in Amerika abstoßende autoritäre Tendenzen. Zufall? Oder auch nicht. Eine hochgradig nervöse Weltmacht ist kaum eine liberal-demokratische Weltmacht, die mit ihren inneren Widersprüchen souverän umgeht.
Die USA und China streiten sich also darum, wer in Zukunft den Ton angeben darf. Beide bilden dazu Allianzen mit anderen Ländern. China zieht neben Schurkenstaaten und einigen hybriden Regimen mittlerweile auch die eine oder andere halbwegs stubenreine Demokratie auf seine Seite. Zumindest wenn es um die Exportwirtschaft geht, fühlt sich Brasilien dem Land der Mitte längst näher als den USA. Weite Teile Afrikas haben sich China untergeordnet, in Europa hat Xi Jinping die Autokrätchen in Ungarn und Serbien einigermaßen in der Tasche.
So weit, so nachvollziehbar.
Und jetzt zu dem, was ich beim besten Willen nicht nachvollziehen kann:
Es ist eine humanitäre Katastrophe. Punkt. Aber abgesehen davon: Warum streicht Trump die Lieferung lebenswichtiger Medikamente in Entwicklungsländer? Wie unfassbar dämlich ist das – aus geostrategischer Sicht? Hat er diesen Teil der Welt, in dem die mit Abstand meisten Menschen leben, schon völlig an China abgeschrieben?
Was bringt es ihm, wenn er die US-Nachbarländer im Süden durch die barbarische Deportation hunderttausender Migranten buchstäblich mit Gewalt in die Arme Chinas treibt?
Und: Warum zum Teufel will er sich unbedingt mit uns anlegen? Was soll der Blödsinn mit Grönland? Glaubt Trump wirklich, er kann Europa ungestraft auf den Kopf scheißen? Oida! Oder, um es mit seinem seltsamen Spezi Elon Musk zu sagen: „Go, fuck yourself!“
Europa ist ein Binnenmarkt mit einem BIP, das jetzt nicht soooo viel kleiner ist als das der USA oder Chinas (unseres ist um gut ein Drittel geringer). Technologisch sind wir zwar in wenigen Bereichen wirklich Weltführer, aber dafür in der Breite einigermaßen solide aufgestellt. Man kommt an uns nicht vorbei und wir holen auf. Auch militärisch. Ja, unser Ziel war es nie, die meisten, größten und tödlichsten Waffen zu haben. Wir brauchen das nicht für unser Ego. Aber wenn es drauf ankommt, haben wir sogar Atombomben. Wir können zur Not weitere bauen. Und nein: Wir wollen das nicht.
Wir hätten auch die Möglichkeit, die Ukraine so entschlossen zu unterstützen, dass Putin winselnd abzieht. Gut: Zumindest hatten wir die Möglichkeit, leider waren Scholz, Macron und Co am Ende zu feig, dem Diktator im Kreml so richtig zwischen die Beine zu treten. Sie hatten Angst vor Putin und seinen rechten Kolonnen im eigenen Land. Überraschung: Angst ist ein sehr schlechter Ratgeber. Putin und die Populisten leben von der Furcht anderer. Hoffentlich sickert das bald in Berlin, Paris und Brüssel. Darum und um nichts anderes geht es nämlich: Die Angst Europas vor der Macht, ganz besonders vor der eigenen.
Zurück zur USA: Was macht Trump eigentlich so sicher, dass er uns in der Tasche hat, wenn es wirklich auf einen Zweikampf mit China hinausläuft? Das transatlantische Bündnis ist ja, anders kann man seine Ansagen kaum deuten, ziemlich Geschichte. Merke: Er hat die Beziehung beendet. Nicht wir.
Es könnte sein, dass wir hier in der alten Welt; wir freundlichen Humanisten, die Cicero, Kant und Camus hervorgebracht und mitunter sogar gelesen haben; wir, die wir für das Wahre, Schöne und Gute einstehen; wir, die wir uns den Kopf darüber zerbrechen, wie in Geschichtsbüchern dereinst über uns geurteilt werden könnte; dass wir Europäerinnen und Europäer also in ein paar Jahren entscheiden müssen, mit wem wir zwar nicht fix zsam aber zumindest friends with benefits oder so etwas in der Art sein möchten. Und dass das nicht mehr notwendigerweise Amerika sein muss.
Um in der Metapher zu bleiben: Die Verbündeten auf der anderen Seite des Atlantiks machen sich derzeit nicht unbedingt attraktiv für demokratische Romantiker.
Mit wem sollten wir denn in Zukunft enger zusammenarbeiten?
Mit den USA unter Trump, der scheibchenweise Demokratie und Rechtsstaatlichkeit abbaut, das Land offenbar zu einer Oligarchie umbauen möchte und dem jegliches Verständnis fehlt für das entscheidende Thema unserer Generation und aller, die uns nachfolgen: den menschengemachten Klimawandel? All das mit obszönem Krawall und einem durch die Bank erpressbaren politischen Spitzenpersonal, das beim Vorstellungsgespräch in Mar-a-Lago für Vorwürfe von Korruption, häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch offenbar Extrapunkte kassierte. Mit Medien und Kommunikationsplattformen, die sich (Ausnahmen bestätigen die Regel) würdelos dem Recht des Stärkeren unterwerfen, wenn es um die Rendite geht? Wir werden uns, das steht zu fürchten, noch wundern, was im Land der unbegrenzten Möglichkeiten alles möglich ist.
Mit China? Einer kommunistischen Diktatur mit kapitalistischem Antlitz (oder umgekehrt?), die einigen der schlimmsten Verbrecherregime der Welt die Mauer macht, die zunehmend Züge eines totalen Überwachungsstaates trägt und wo das Regime nicht einmal mehr so tut, als spielten Menschenrechte irgendeine Rolle. Eine Großmacht, die aber immerhin so ziemlich alle verfügbaren Ressourcen einsetzt, um den Klimawandel zu bremsen und mit dem unvermeidbaren Ausmaß an Erderwärmung umzugehen. Die etwas verstanden hat, was man in den USA noch nicht verstanden hat – nicht einmal jetzt, wo Los Angeles brennt. Deren konfuzianisches Herrschaftssystem einer gewissen inneren Logik folgt, die man nicht teilen muss. Die man aber immerhin ernst nehmen sollte. Xi Jinping ist – nach allem, was man über ihn weiß – kein Psychopath, der die Grausamkeit liebt. Er ist zweifellos überzeugt, dass das chinesische System bei einer Erderwärmung deutlich über 1,5 Grad Celsius und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Menschheit anpassungsfähiger sein wird als eine westlich-liberale Demokratie. Wenn es ums Überleben geht.
Ist es so?
Keine Ahnung. Aber wir sollten uns die Frage stellen, wie wir es besser machen könnten. Demokratischer, menschenfreundlicher.
Und wir sollten uns hier in Europa ernsthaft Gedanken machen, wie wir mit der neuen geopolitischen Situation umgehen. Wer unsere echten Freunde sind, wem wir halbwegs vertrauen, mit wem wir Zweckbündnisse eingehen. Vor allem aber: Wie wir uns als dritte Weltmacht positionieren und sicherstellen, dass die anderen wieder Respekt vor uns haben. Auch wir haben Interessen. Dazu zählen übrigens auch die Seltenen Erden in Grönland. Finger weg, Donald. Du legst dich nicht nur mit Dänemark an. Du legst dich mit uns allen an. Sogar mit Österreich (wenn die ÖVP in Zukunft noch einen letzten Funken Selbstachtung behält).
Noch gibt es so etwas wie Versatzstücke einer transatlantische Wertegemeinschaft, wir und die Amis bleiben Freunde. Aber hey: Wenn von den gemeinsamen Werten auf der anderen Seite des Atlantiks nichts mehr übrig bleibt und sich das Verhältnis zunehmend toxisch gestaltet, wird man vielleicht irgendwann umdenken müssen. Die Wahl zwischen Demokratie und Diktatur fällt leicht. Die zwischen einer Autokratie und einer Diktatur mit nachvollziehbarer Grundprämisse ist schon schwieriger. Wie gesagt, es geht um unsere Interessen: Wohlstand, sozialer Friede, Sicherheit, Demokratie und Freiheit. Um ein lebenswertes Leben für unsere Kinder.
Gut möglich, dass Trump auf ein paar der Länder, die er gerade mächtig gegen sich aufbringt, noch angewiesen sein wird. Dass er einmal recht kleinlaut wird (wie es Narzissten ergeht, wenn man sich von ihnen nicht einschüchtern lässt und ihnen knallhart die Grenzen aufzeigt). Wenn – ja: wenn – Europa endlich aufhört, herumzujammern und stattdessen den ihm zustehenden Platz am Erwachsenentisch einfordert. Kurzum: Wenn Europa die Machtfrage stellt, als die Weltmacht, die wir sind.
Unser Problem ist nicht Trump. Es ist unsere Feigheit.
