Meine Tochter ist sechs Jahre alt. Ich frage mich, wie vermutlich viele andere: Was wird das für eine Welt sein, wenn die Kinder einmal erwachsen sind? Die beruhigende Antwort lautet: Wir wissen es nicht. Eine gute Zukunft könnte sich jedenfalls noch ausgehen.
MEINE TOCHTER SAGT, sie kann Dinkelbrot nicht leiden. Überhaupt: Brot. Und dann dieses. „Schmeckt fad“, sagt meine Tochter. „Kratzt am Gaumen“, sagt meine Tochter. Sie will bloß den Belag essen. Einspruch: „Ballaststoffe sind gesund“, belehre ich sie. „Für die Verdauung und so.“
Ja, da ist ein gerütteltes Maß an Heuchelei dabei. Ich esse auch lieber normales Brot. Und manchmal, wenn niemand zusieht, gerne ein paar Scheiben Salami ohne irgendetwas. „In der allergrößten Not isst der Bauer die Wurst auch ohne Brot“, sagt man in Kärnten. Da komme ich her und da sind wir gerade zu Besuch. Genauer: am Ossiacher See, bei meiner Mutter. Bei ihr kommt, seit ich denken kann, nur Dinkelbrot auf den Tisch. Ich beuge mich den Regeln. Das Kind ist ein Opfer meiner Obrigkeitshörigkeit.
MEINE TOCHTER IST SECHS Jahre alt. Man kann nicht sagen, dass noch alles gut war, als sie auf die Welt kam. Aber es war weniger schlimm, die Nachrichtenlage noch nicht so beängstigend. Donald Trump schleppte sich durch die zweite Hälfte seiner ersten Amtszeit. Es schien, als würde der Spuk bald ein Ende haben, als klebe auf seiner langen, roten Krawatte ein Ablaufdatum. Alle Welt lachte über den US-Präsidenten.
Kein Gleichgewicht mehr.
Man sprach lieber von Greta Thunberg, der eigensinnigen Schülerin aus Schweden. Sie schwänzte den Unterricht, um gegen die Erwärmung des Planeten zu kämpfen. Angela Merkel, der deutschen Bundeskanzlerin, gefiel das zwar nicht besonders. Aber sie hörte Greta trotzdem zu. Auch Trump wollte sich mit dem Mädchen treffen. Bloß sie nicht mit ihm. Der mächtige alte Mann im Weißen Haus kassierte einen Korb und stand ziemlich belämmert da. Als meine Tochter geboren wurde, herrschte auf der Welt wenigstens noch so etwas wie ein gefühltes Gleichgewicht. Manchmal zogen die Rüpel den Kürzeren.
MEINE TOCHTER KAM IM SOMMER 2019 auf die Welt. Es sollte noch ein gutes halbes Jahr dauern, ehe erste Meldungen über ein merkwürdiges neues Coronavirus in China die Runde machten. Sie war zwei Jahre alt, als russische Panzer über die ukrainische Grenze rollten. Vier, als die Hamas 1182 Jüdinnen und Juden ermordete und damit einen Flächenbrand im Nahen Osten entfachte. Fünf, als Donald Trump zum zweiten Mal gewählt wurde und sich anschickte, die US-amerikanische Demokratie zu entsorgen.
Als das Zwutschkerl geboren wurde, hielt ich es für grundsätzlich okay, neues Leben zu zeugen. Jetzt geht sie in die Schule und ich bin mir da nicht mehr so sicher. Was wird das für eine Welt sein, wenn sie einmal erwachsen ist?
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