Ausgerechnet Kärnten

Im Mutterland der Populismus ist Ruhe eingekehrt. Führt demagogische Durchseuchung am Ende zu Herdenimmunität?

Zentrale der Hypo-Bank in Klagenfurt

Jörg Haider hätte wohl den Hubschrauber genommen. Sein Nachnachfolger Peter Kaiser kommt mit dem Dienstauto auf den Großglockner. Auf der Franz-Josefs-Höhe, 2.369 Meter über dem Meeresspiegel, macht eine ganzjährige Wanderausstellung über die Geschichte der Kärntner Volksabstimmung Station, Kaiser soll gleich eine Ansprache halten. Er knotet die hinter dem Rücken verschränkten Hände und ruft nach einem Mitarbeiter: „Andy!“ Der überhört den Chef. Noch zwei Mal muss Kaiser rufen, ehe Andy sich umdreht und kommt. Bei seiner Rede wird Kaiser über die Franz-Josefs-Höhe scherzen, die nach einem anderen Kaiser benannt sei. Der Witz zündet nicht, keiner lacht.

Vertraute schildern Peter Kaiser als Karawanken-Marc-Aurel: Einen Politiker, der Macht kann, ohne ihr verfallen zu sein und der insgeheim davon träumt, sich ganz seinen Büchern zu widmen.

Ein Volkstribun wird aus dem 61-jährigen Sozialdemokraten nicht mehr. Kein Vergleich zum leutseligen Demagogen Jörg Haider, der mit derben Zoten Biersäle zum Kochen brachte. Der promovierte Soziologe, dem viele eher eine Karriere an der Universität als in der Politik zugetraut hätten, ist ein Büchermensch, der aus dem Stegreif Pierre Bourdieu oder Ralf Dahrendorf zitieren kann. Vertraute schildern ihn als eine Art Karawanken-Marc-Aurel: Einen Politiker, der Macht kann, ohne ihr verfallen zu sein und der insgeheim davon träumt, sein Amt an einen Jüngeren zu übergeben, um sich ganz seinen Büchern zu widmen.

Erschienen in: falter, 41/20

Trotzdem oder gerade deswegen kommt Kaiser an. „Der Landeshauptmann hat wieder ausgesprochen gut geredet“, sagt eine Goldhaubenfrau im Gehen zur anderen. Fast die Hälfte der 550.000 Kärntnerinnen und Kärntner sehen das genauso. Bei den letzten Wahlen vor zwei Jahren hat Kaisers SPÖ die absolute Mehrheit bloß um Haaresbreite verpeilt.

Ausgerechnet im Süden hat der Populismus vorerst abgedankt. Seit sieben Jahren politisiert Kaiser merkbar links von den anderen roten Landeshauptmännern. Er spricht sich lautstark für ein bedingungsloses Grundeinkommen aus und kämpft darum, Flüchtlingsfamilien aus Moria an den Wörthersee zu holen. Am 10. Oktober, wenn sich der Tag des Referendums über den Verbleib Südkärntens bei Österreich zum 100. Mal jährt, wird Kaiser wie bei vielen anderen Anlässen auf Deutsch und Slowenisch das friedliche Zusammenleben beider Volksgruppen hochleben lassen. Und er wird sich einmal mehr weigern, den traditionellen braunen Kärntner Anzug zu tragen.

Ein Mist namens Hypo

All das wäre vor ein paar Jahren noch undenkbar für einen Kärntner Landeshauptmann gewesen. Doch im Mutterland des Rechtspopulismus hat man die Ruhe zu schätzen gelernt. Ausgerechnet in Kärnten, wo Jörg Haider Ortstafeln verrücken ließ, damit die Höchstrichter keine slowenischen Dorfnamen draufschreiben lassen konnten. Wo Flüchtlinge in ein Straflager auf der Saualm gekarrt wurden und Spitzenpolitiker am Ulrichsberg mit SS-Veteranen kungelten. Ausgerechnet hier haben die Demagogen kein Leiberl mehr. An Jörg Haider erinnern nur noch die Hypo-Zentrale, eine nach ihm benannte Brücke über die Drau und ein Marterl in Lambichl, wo er 2008 bei einem Autounfall ums Leben kam, sturzbetrunken und mit weit überhöhter Geschwindigkeit.

Einer der ersten Besucher der Wanderausstellung am Glockner ist ein Bergführer in Lederhose, klobigen Schuhen und Wanderstock, der sich als Christian vorstellt und über Landespolitik doziert wie über kristalline Gesteinsformationen: „Der Landeshauptmann macht seine Sache sehr gut“, sagt Christian. „Wir waren aber auch mit dem Jörgl zufrieden.“ Der habe für den Koralmtunnel gekämpft und viel für den Fremdenverkehr getan. „Dass er nach seinem Tod so einen Mist hinterlassen hat, steht auf einem anderen Blatt Papier.“

Der Mist war die Hypo-Alpe Adria. Die von Haider eingefädelten Milliardenhaftungen für die Expansion der Landesbank am Balkan brachten Kärnten vor fünf Jahren an den Rande des Ruins. In zähen Verhandlungen mit der Bundesregierung und den Gläubigern konnte Kaiser einen Konkurs des Landes abwenden. Inzwischen hat sich die Wirtschaft erholt, es gibt zahlreiche Betriebsansiedlungen, Corona hat Kärnten bisher weitgehend verschont. Es läuft für Peter Kaiser.

„Hoffentlich bleibt er in Kärnten und geht nicht nach Wien“, sagt einer, der einst zum Aufstieg des jungen Jörg Haider maßgeblich beigetragen hat. Heinz Stritzl, 98 Jahre alt, gehörte als Chefredakteur der Kleinen Zeitung lange zu den Strippenziehern im Land. Stritzls Klagenfurter Wohnung ist nur einen Steinwurf von Haiders ehemaliger Stadtvilla entfernt. Vor 40 Jahren fläzte der Jungpolitiker auf Bad Goisern am Wohnzimmerdiwan des Zeitungsfürsten und beriet sich mit ihm, wie er die damalige Absolute der Sozialisten im Landtag knacken könnte. „Haider war ein raffiniertes Biest“, sagt Stritzl heute. Gemeinsam kämpfte man gegen roten Filz, Postenschacher und Machtmissbrauch – ehe Haider Landeshauptmann wurde und diese Unsitten weiterführte.

Langzeitlandeshauptmann Leopold Wagner © Parlament

Seine rechte Sprüche fielen ohnehin auf fruchtbaren Boden. Auch SPÖ-Landeschef Leopold Wagner hatte für die slawische Minderheit wenig übrig und prahlte mit seiner Vergangenheit als Hitlerjunge. Der Übergang von Wagner zu Haider war fließend. Der Rechtspopulist perfektionierte die politische Bewirtschaftung eines Volksgruppenkonflikts, der vor hundert Jahren seine Ausgang nahm.

In den Wirren nach dem Ersten Weltkrieg beanspruchte Jugoslawien den südlichen, mehrheitlich slowenischsprachigen Teil Kärntens. Nach kurzen Kampfhandlungen kam es auf Vermittlung der Alliierten zu einem Referendum, in dem sich die Bevölkerung mehrheitlich für den Verbleib bei Österreich aussprach. Obwohl ein großer Teil der slawischen Minderheit gegen den Anschluss an Jugoslawien votierte, markierte die Volksabstimmung den Beginn einer Vergiftung des Klimas zwischen den beiden Sprachgruppen. In seinem Kampf gegen zweisprachige Ortstafeln wusste Haider die Mehrheit der Deutschkärntner hinter sich.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Glaubt man der Historikerin Brigitte Entner, dann hat der Wandel weniger mit Politik zu tun. Den Ausschlag habe vielmehr ein schmales Buch gegeben, in dem eine slowenische Autorin ihre tieftraurige Kindheitsgeschichte, geprägt von Repression und Kriegstraumata verarbeitete. „Die Veränderung lässt sich am Erscheinen von Maja Haderlaps Roman Engel des Vergessens im Jahr 2011 festmachen“, sagt Entner. „Durch dieses Buch ist bei den Deutschsprachigen etwas aufgebrochen“, sagt Entner. Die Veränderung sei von unten gekommen.

Den Populisten wurde erst der nationalistische Nährboden entzogen. Bald darauf kam der nächste Schlag: Eine Reihe von Gerichtsurteilen im Sommer 2012 zeigte die Bestechlichkeit der Haider-Getreuen auf. Plötzlich wurden freiheitliche Funktionäre auf Volksfesten ausgepfiffen, hunderten gingen in Klagenfurt auf die Straße, um Neuwahlen zu fordern. „Es waren nicht wir so gut“, sagt Peter Kaiser. „Wir waren die Alternative, nachdem das Verteidigen einer unhaltbaren Politik um jeden Preis zu einem ohnmächtigen Zorn gegenüber den Regierenden geführt hatte.“ Am Ende hat sich der Populismus in Kärnten selbst abgeschafft.

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