Öha, ein Mensch!

Schwer vorstellbar, dass Valentin Oman wirklich 85 Jahre alt ist. Offenbar hält das ständige Zerstören der künstlerischen Routine jung.

Schlosskirche Tanzenberg, gestaltet von Valentin Oman © Fluxury/Wikimedia

Der Pfarrer, das offene Grab, der Sarg: all das schlimm genug für einen jungen Mann. Dann noch die giftigen Blicke der anderen Trauernden für den Kunststudenten, der Schande über sein Elternhaus gebracht hatte. Das Begräbnis seines Vaters wurde zum prägenden Ereignis im Leben Valentin Omans. Zwei Monate zuvor hatte sich der Tanzenberg-Absolvent an der Angewandten in Wien eingeschrieben. Unerhört im Kärnten der späten 1950er-Jahre. Omans Heimatpfarre hatte das sündhaft teure katholische Eliteinternat nicht aus Nächstenliebe mitgesponsert. Der Bub sollte Pfarrer werden, nicht Künstler. „Ich stand am Pranger“, sagt Oman. Dennoch zog er sein Ding durch. Aber seither meidet er Begräbnisse.

Erschienen in: Die Brücke, Dezember 2020

Am 14. Dezember wird der Platzhirsch unter Kärntens Kunstschaffenden 85 Jahre alt. Angeblich, wird schon stimmen, man glaubt es nicht. Dieser Mann ist nicht alt. Er bewegt sich wie ein Junger, er spricht wie jemand, der gerade mal den Bescheid von der Pensionsversicherung abgeholt hat und sich jetzt überlegt, was er noch mit seinem Leben anfangen möchte. Und das, obwohl er nicht gerade wenig raucht, Marlboro, die starken. In seinem Finkensteiner Atelier mit Blick auf den Waldrand stapeln sich die Bilder, in einer Ecke steht ein Rasenmäher, viele Mozart-CDs, ein paar Nüsse aus dem Garten. Später wird Oman sein Handy hervorkramen, ein iPhone der neuesten Generation, um Bilder zu zeigen, die er geknipst hat, um sie gleich direkt am Gerät zu bearbeiten. Etwa vom Jardin Majorelle, dem paradiesischen Garten in Marrakesch, mit dem Mauerwerk in Ultramarin inmitten grüner Kakteen und Palmen. Oman hat die Fotos auf eine Leinwand drucken lassen und mit Ölkreide überarbeitet. „Das ist der heiterste Zyklus, den ich bis jetzt gemacht habe.“

Denn an sich hat es Oman nicht so mit luftigen Bildern. Der Künstler kennt die Fröhlichkeit, seine Kunst weniger. Ausgeklügelte Farbkompositionen, hübsche Motive, Malerei um der Malerei Willen: Das ist seine Sache nicht. Oman gräbt unermüdlich nach dem verbuddelten Kern – wenigstens nach Spuren davon. Die Oberfläche interessiert ihn nicht. Vielleicht hält diese Kompromisslosigkeit jung. Er habe auch, sagt er, nie ein schlechtes Gewissen gehabt wegen der Sache mit Tanzenberg.

Mit der Schule hat er schon vor Jahrzehnten, wenn man so will, seinen Frieden gemacht. Oder Tanzenberg mit ihm. Mitte der Achtziger wurde er vom damaligen Kärntner Bischof Egon Kapellari beauftragt, das Kircheninnere neu zu gestalten. Für ein Jahr lang übersiedelte Oman damals von Wien nach Klagenfurt und pendelte jeden Tag zu seiner alten Schule. Oman hatte das Gotteshaus ganz für sich allein, es gab kaum Vorgaben, niemand drängte ihn. Er drehte Mozart auf und machte sich an die Arbeit. Schicht um Schicht trug er Leinwände und Gaze auf, ein Grundmaterial, aus dem er später Gesichter und Figuren herauslöste. Öha, ein Mensch. Und was für einer. Ein vielschichtiger Erschaffer und Zerstörer, ein Brechender und Gebrochener. Man blickt ins Licht. Und man blickt in Abgründe.

Was funkelt, wird angenommen

Das Interesse am Menschen zieht sich durch Omans Werk. Der Titel „Ecce homo“ taucht bei seinen Werken immer wieder auf. Der Ausruf von Pontius Pilatus beim Anblick des malträtierten Jesus Christus ist ein Wegweiser ins Ungefähre. Er gibt die Richtung vor, in der man sich verlieren kann. Sollen sich die Leute selbst ein Bild machen von seiner Kunst. Wenn sie sich darauf einlassen möchten. „So etwas lasse ich nicht einmal in meinen Stall hineinmalen“, hat eine Bäuerin einmal in seiner Anwesenheit gesagt, als sie Omans Gestaltung der Kirche von St. Jakob im Rosental/Šentjakob v Rožu sah. Damit muss man als Kunstschaffender am Land klarkommen. Einfacher ist es mit Glasfenstern, wie er sie in der Kirche seiner Heimatgemeinde Finkenstein gestaltet hat. Damit können die meisten etwas anfangen, vor allem, wenn die Figuren in der Sonne leuchten. „Das Glas ist wie eine Brücke für Menschen, die wenig Zugang zur Kunst haben“, sagt Oman. Was funkelt, wird leichter angenommen.

Einfach hat es sich der Künstler aber mit seiner Heimat Kärnten ohnehin nicht gemacht. Als Jörg Haider hier vor zwei Jahrzehnten an die Macht kam, zog sich Oman aus Protest aus dem Kulturbetrieb zurück. Er nahm keine Aufträge des Landes mehr an, seine Bilder wurden in Kärnten nicht mehr ausgestellt. Der Landeshauptmann verhöhnte ihn: „Herr Oman wollte Kärnten ja angeblich verlassen. Aber er ist noch immer da.“ Was eine bösartige Unterstellung war. Oman hatte nie angekündigt zu gehen. Er wollte sich bloß nicht mehr zeigen, solange am Arnulfsplatz jemand regierte, dessen Politik er ablehnte. „Kindisch“ nannten das manche. Für ihn war es konsequent. Oman rechnete nicht damit, dass er in Kärnten je wieder eine Vernissage seiner Werke erleben würde. „Wer hätte gedacht, dass ich diesem im Vergleich zu mir jungen Menschen überlebe.“

So richtig zufrieden mit der Situation im Land ist Oman noch immer nicht. Vor allem die Sache mit den zweisprachigen Ortstafel wurmt ihn. Nicht einmal 200 gibt es davon, für 900 slowenische Namen. Aus Sicht der Politik war das ein für beide Volksgruppen wenig befriedigender aber gangbarer Kompromiss. Weil es immer noch Leute gibt, die Sprache mit Territorium gleichsetzen. Diese nationalistische Denke interessiert Oman nicht. Für ihn sind die vernachlässigten 700 Ortsnamen ein Kulturgut, das mit Füßen getreten wird. „Bei der Spuren der römischen Kultur in Kärnten kratzt man auch herum und freut sich, wenn ein neuer Ortsname gefunden wird“, sagt er.

In Omans Elternhaus wurde Slowenisch gesprochen, „Windisch“, sagt er und meint den speziellen slawischen Dialekt mit dem sich viele Leute in Südkärnten seit Jahrhunderten unterhalten. In Tanzenberg erlernte er die slowenische Hochsprache und verlernte vieles davon später wieder. „In Wien gab es niemanden, mir dem ich hätte Slowenisch sprechen können“, sagt er. Später, als er nach langem Zögern wieder nach Kärnten zog, eignete er sich seine Muttersprache ein zweites Mal an.

In Wien hat Oman heute noch ein kleines Atelier, eine billige Gemeindewohnung ohne Luxus. Wenn nicht gerade Corona ist, verbringt er vor allem die kältere Zeit des Jahres in der Hauptstadt. Der Ortswechsel hilft auch dabei, die Routine aufzubrechen, vor der es ihm am meisten graut. Vielleicht, meint der Künstler, sei das das Hauptmotiv für seine Arbeitsweise: „Durch das ständige Überkleben, zerstöre ich meine Geläufigkeit.“ Es sei diese Radikalität in der Beschäftigung mit seinem eigenen Werk, die ihn jung halte. „Das hat mit ein beinahe glückliches Leben beschert. Du holde Kunst, ich danke dir.“

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