Der Rechtspopulist Viktor Orban hat in Ungarn eine antiwestliche Insel geschaffen. Nun ruft er wertkonservative Westeuropäer dazu auf, in sein Land zu kommen. Vor allem Pensionäre, die von einem Häuschen im Grünen träumen und genug haben von der politischen Korrektheit, folgen seinem Ruf.
Mit vielem hätte sich die Mittsechzigerin Karin aus Kassel arrangieren können. Dass eine ihrer Töchter eine Frau liebt, eine andere die vier Enkelkinder allen grossmütterlichen Warnungen zum Trotz schon zum dritten Mal gegen Corona impfen liess. Dass sich alle lustig machen über ihren Widerstand gegen ein System, das sie für faschistisch hält. All das hätte sie der Familie zuliebe erduldet.
Aber ihre Familie will mit ihr und ihrem Mann nichts mehr zu tun haben. Die beiden haben dieses Jahr schon zum dritten Mal Weihnachten allein verbracht, ohne Streit über die Politik, aber auch ohne Kinderlachen. Diesmal feierte das Paar den Heiligen Abend in einem Hotel nahe dem ungarischen Plattensee. Demnächst, so hofft Karin, werden sie hier eine Wohnung oder ein günstiges Haus finden. Dann ist Deutschland für sie endgültig Geschichte. «Ich betrachte mich als politischen Flüchtling», sagt Karin. Sie meint das ernst. Und da ist sie nicht die Einzige.
«Western Refugees Welcome»
Auf Facebook gibt es ein halbes Dutzend Communitys, in denen sich Tausende Reichsbürger, Querdenker und andere Leute, die sich im liberalen Westen nicht mehr wohlfühlen, über die Auswanderung nach Ungarn austauschen. In einschlägigen Telegram-Gruppen werden Angebote für günstige Häuser im Land geteilt – neben Ratschlägen für den Umgang mit den Behörden im neuen Heimatland.