
Langsam formiert sich eine parteiinterne Front gegen Pamela Rendi-Wagner. Soll sie zu Abdanken gebracht werden? Und wenn ja: wie? Jede Partei mag ihre eigenen Traditionen haben in der schmutzigen Disziplin der Intrige gegen die Nummer ein. Aber es gibt allgemeine Grundregeln. Das sind die zehn wichtigsten.
Dass der Parteinachwuchs dann und wann aufmuckt, muss nichts heißen. Auch Zwischenrufe der Parteisenioren soll man nicht überbewerten, genauso wenig wenn die Ultraorthodoxen meckern. Das steckt die Nummer eins an der Spitze einer Partei locker weg. Brenzlig wird es aber, wenn der Mittelbau aufbegehrt und die mächtigen Leute in den Bundesgremien granteln. Denn sie entscheiden am Ende, ob die Person an Spitze noch taugt – oder ob wer anders die Sache wohl besser machen würde.
So gesehen hat SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner inzwischen ein gröberes Problem – neben vielen altbekannten. Zu letzteren zählt seit Jahren der aufmüpfige Burgenländer Hans-Peter Doskozil, der seit Jahren keine Gelegenheit auslässt, klarzustellen: „Ich könnte das besser.“ Oder eine Partei, die seit langem um eine halbwegs nachvollziehbare Linie in praktisch allen wichtigen Fragen dieser Zeit ringt – vom Krieg in der Ukraine, über die Corona-Maßnahmen bis hin zur Gretchenfrage, wie es die SPÖ mit Asyl und Migration hält. Kein Wunder, dass die größte Oppositionspartei ihren komfortablen ersten Platz in den Umfragen schon lange eingebüßt hat – zu Gunsten der ungeniert ausländerfeindlichen FPÖ. Zuletzt setzte es bei der Niederösterreich-Wahl heftige Verluste, Rechts überholte Rot.
Und langsam wird es brenzlig. Denn die schwache Performance in der Löwelstraße redet niemand in der Partei mehr klein. Als sich der ehemalige steirische Landeshauptmann Franz Voves unlängst dafür aussprach, mit dem mächtigen Wiener Bürgermeister Michael Ludwig in die kommende Wahl zu ziehen, gab es kaum wen, der sich beherzt für Rendi-Wagner stellte. Man beließ es bei förmlichen Klarstellungen: Derlei Fragen sollten intern geklärt werden, nicht in der Öffentlichkeit.
Da ist etwas in Bewegung geraten, die Luft wird eng für die roten Nummer eins. Aber wie wie entsorgt eine Partei ihre Vorsitzende? Der folgende Text ist bereits 2016 enstanden und war damals Rendi-Wagners Vorvorgänger Werner Faymann gewidmet. Ich habe mich dazu damals mit Spin-Doctoren und Spitzenfunktionären aus ganz verschiedenen politischen Lagern unterhalten. Jede Partei hat beim Sturz der Nummer eins ihre eigenen Traditionen und Vorlieben. Dennoch gibt es gewisse allgemein gültige Gesetzmäßigkeiten, wenn zum Halalil auf den ersten Mann oder die erste Frau der Partei geblasen wird. Das sind die wichtigsten.
1) Die Ausgangslage
Die verfahrene Lage lässt sich beim besten Willen nicht mehr schönreden. Mehrere Wahlen wurden in Folge verloren, politische Erfolge zur Beruhigung der Basis bleiben aus, selbst die ernstzunehmenden – sprich: internen – Umfragen sind verheerend. Quer durch die Partei herrscht Ratlosigkeit, weil die alten Erfolgsrezepte nicht mehr funktionieren. Panik macht sich breit. Spätestens, wenn die Parteikader um ihre eigenen Jobs fürchten müssen, ist Schluss mit lustig.
2) Das Thema der anderen
Seit Monaten dominiert ein Thema die Schlagzeilen, mit dem die Partei überfordert ist, weil sie damit nicht gewinnen kann. Wohl aber die politische Konkurrenz. „Es gibt Themen, bei denen man machtlos ist. Egal was man dazu sagt, man zahlt nur auf das Konto einer anderen Partei ein“, sagt ein ehemaliger ÖVP-Spitzenpolitiker. Dieses Thema lautet für die SPÖ Asyl – seit vielen Jahren. Schon den Bundeskanzlern Faymann und Christian Kern ist es nicht gelungen, hier Leadership zu zeigen, unter Rendi-Wagner mäandert die Partei umso mehr zwischen Härte und Humanität. Die Parteichefin trägt dafür zwar keineswegs die Hauptverantwortung. Darum geht es aber auch gar nicht. „Man hängt der Nummer eins die alleinige Verantwortung für ein Problem um, für das in Wahrheit niemand in der Partei eine Lösung hat“, sagt ein hoher SPÖ-Landespolitiker.
3) Das Spiel über die Bande
In den Medien machen erste Gerüchte über Rücktrittspläne oder eine geplante Rochade an der Spitze die Runde. Journalisten rufen Entscheidungsträger an und wollen eine Stellungnahme zur Performance der Chefin. In dieser Phase sind weiter oben die Reihen noch dicht geschlossen, keiner der Mächtigen will als Erster die Nummer eins in Frage stellen. „Aber man kann ja einem Journalisten seines Vertrauens die Nummer eines anderen Funktionärs geben. Jede Partei hat Leute, die an medialer Inkontinenz leiden“, erzählt ein früherer Spindoctor.
4) Die Heuchelei
Tatsächlich, es hat für eine Schlagzeile gereicht. Die erste indirekte Rücktrittsaufforderung eines Mittelbau-Funktionärs liegt in der Luft. Jetzt ist es für die Entscheidungsträger an der Zeit, der Nummer eins öffentlich den Rücken zu stärken – mit der Klarstellung, dass dessen Fähigkeit zur Parteiführung unumstritten sei. „Natürlich wird das Leadership gerade dadurch in Frage gestellt“, sagt der Ex-Spindoctor. „Das ist wie die Aufforderung, nicht an einen rosaroten Elefanten zu denken.“
5) Der Nachfolger
Allerspätestens jetzt sollte der gewünschte Nachfolger feststehen. Er muss bereit sein und parteiintern mehrheitsfähig. Und er muss warten können. Denn das schmutzige Spiel beginnt erst.
6) Die Nummer eins kämpft
Spekulationen über einen möglichen Rücktritt überlappen andere Themen. Immer mehr parteiinterne Kritiker wagen sich aus der Deckung, auch der oder die Vorsitzende merkt, dass es ernst wird. Er oder sie versucht mit neuen Themen zu punkten, Profil zu gewinnen. Viele werden in dieser Phase extrem misstrauisch. Sie umgeben sich nur noch mit Vertrauensleuten, igeln sich ein, verlieren den Kontakt zur Parteibasis.
7) Allianzenbildung
Das ist umso schlimmer, weil zu diesem Zeitpunkt die Intrige längst im Gang ist. Parteiintern verbünden sich unterschiedliche Lager, die üblicherweise wenig gemein haben. Doch nun teilen sie die Überzeugung, dass man ein neues Gesicht an der Spitze braucht.
8) Mobbing
Dann beginnt die übelste Phase. Funktionäre begleichen erbarmungslos offene Rechnungen. Täglich kommen kleine Messerstiche aus den Ländern, die die Autorität des Parteichefs untergraben. Hinter den Kulissen herrscht längst offener Krieg, da werden die Angriffe auch einmal persönlich. Das hält niemand ewig durch. Auch Politiker sind nur Menschen. Viele werfen in dieser Phase bereits das Handtuch.
9) Die Stunde der heimlichen Chefs
Die Nummer eins ist jetzt bereits sichtbar angeschossen. In dieser Phase kann er oder sie nichts mehr gewinnen. Nun melden sich die wirklich Mächtigen in der Partei öffentlich mit Kritik zu Wort: Landeshauptleute. Bünde-Chefs in der ÖVP, Gewerkschaftsführer in der SPÖ. „Es gilt eigentlich die Regel: Wer den Parteichef geholt hat, muss ihn auch wieder verräumen“, sagt ein früherer ÖVP-Politiker. Bei Pamela Rendi-Wagner war das freilich ihr Vorgänger Christian Kern, der zumindest derzeit in der Politik keine Rolle spielt. So fällt diese undankbare Rolle wohl den beiden Landeshauptleuten Michael Ludwig und Peter Kaiser zu – den beiden Gravitationsfeldern im Osten und im Süden.
10) Der Schlussakt
In den meisten Parteien kann ein Vorsitzender nur bei einem Parteitag abgewählt werden. Doch so weit kommt es in den seltensten Fällen (erst recht nicht auf Bundesebene). Üblicherweise wird der Vorsitzende im Parteivorstand damit konfrontiert, dass die Mehrheit der Fraktion nicht mehr hinter ihm steht. Dann gibt man ihm die Chance auf einen freiwilligen Abgang ohne Gesichtsverlust.
Wenn alles nach Plan läuft, soll er oder sie wenig später bei einer Pressekonferenz mit saurem Lächeln den Nachfolger präsentieren. Die letzte Gemeinheit der Parteifreunde.