Ostdeutschland im Herbst: Wer durch die neuen Bundesländer fährt, hört viele alte DDR-Schnurren, meist weichgezeichnet. Man trifft erschreckend viele Nazis, echte Nazis, die Seite an Seite mit AfD-Funktionären marschieren.
Ein hässlicher Ausblick? «Man jewöhnt sich dran», sagt Thomas, der Tiefbauunternehmer. Manchmal, wenn das Abendrot auf die beiden dampfenden Meiler hinter seinem Haus fällt, werde ihm richtig warm ums Herz. Der 52-Jährige kramt sein Handy hervor und zeigt ein Foto. Stimmt schon: Die untergehende Sonne verleiht selbst dem Braunkohlekraftwerk «Schwarze Pumpe» eine gewisse Schönheit.
Thomas hat sich mit seinem Nachbarn zu einem Feierabendbier auf dem Parkplatz vor dem Haus getroffen, auf der Ladefläche seines Pick-ups steht eine Kiste Lausitzer Pils. Die beiden leben seit Kindesbeinen hier neben der Schwarzen Pumpe im südbrandenburgischen Spremberg. Er erzählt gerne von früher, von der DDR. Schmutziger sei es gewesen. Nach der Wende wurde dann ein neues Kohlekraftwerk gebaut, eingeweiht von Helmut Kohl, dem Kanzler der Einheit. Seither regnet es in Spremberg keine Asche mehr, auf den Apfelbäumen in seinem Garten wachsen Flechten und Moos. Lebt es sich heute besser? «Besser nicht», sagt Thomas. «Es ist anders.» Die Luft mag klarer sein, dafür fehle der Zusammenhalt. Früher hätten sich die Menschen mehr umeinander gekümmert, es habe weniger Egoismus gegeben. «Ham ja auch alle mehr oder weniger gleich viel verdient. Da war keiner mehr wert als der andere.» Ein wenig von der guten, alten Ordnung – das wünscht er sich jetzt zurück.
Das ehrliche Leben
34 Jahre sind seit der Wiedervereinigung vergangen. Aber die DDR, der ehemals sozialistische Osten Deutschlands, ist in den Köpfen vieler Leute immer noch allgegenwärtig. Wer durch Brandenburg, Sachsen, Thüringen fährt, um zu verstehen, warum hier die in Teilen rechtsextreme AfD so erfolgreich ist, hört überall Anekdoten von früher. Nicht von den Foltergefängnissen, dem Schiessbefehl an der Grenze oder der Bespitzelung durch die Stasi. Sondern davon, dass das Leben berechenbarer war. Ehrlicher. Man hört von scheinbar Banalem, von Küchengeräten und Mopeds, die so gebaut wurden, dass sie möglichst lange funktionierten. Keine Wegwerfprodukte mit eingebauten Sollbruchstellen. Viele fühlen sich betrogen.
Wenn Thomas von der DDR spricht, dann erzählt er aber auch aus seiner Jugend. Von der nagelneuen, billardgrünen Simson S51, die er sich von seinem Lehrlingsgehalt kaufen konnte. Heute werden die alten DDR-Mopeds für bis zu 4000 Euro verkauft. Die jungen Burschen reissen sich darum, weil sie damit schneller fahren dürfen als mit einem italienischen Roller.
«Wollnse ooch ein Bier?», fragt Thomas. – «Ja, warum nicht.» Er greift über die Ladeklappe seines Pick-ups. Darauf klebt ein Sticker mit der Aufschrift: «Remigration jetzt. AfD.»
Weiterlesen: NZZ am Sonntag, 13. 10. 2024
